Ursprüngliche http Adresse:
http://www2.pds-online.de/bt/presse/1995/07/19950719-001.htm

Datum : 19.07.1995
Nr.   : 437
Thema : Gauck / Gysi


Gericht bescheinigt Gauck-Behörde: Keine Tatsachen, keine Wahrheiten

Der Pressesprecher der PDS im Bundestag, Jürgen Reents, teilt mit:

Das Verwaltungsgericht Berlin hat den Antrag von Gregor Gysi auf Erlaß einer Einstweiligen Anordnung gegen die Gauck-Behörde im wesentlichen als unzulässig zurückgewiesen. Dabei geht das Verwaltungsgericht von folgendem aus:

1. Das Gutachten der Gauck-Behörde sei nur für den Immunitätsausschuß des Deutschen Bundestages bestimmt gewesen und nicht für die Öffentlichkeit. Ein solches rein »internes Gutachten« könne nicht vor dem Verwaltungsgericht angegriffen werden. Die Veröffentlichung des Gutachtens zunächst durch eine »amtspflichtwidrige Indiskretion« aus der Gauck-Behörde seien keine amtlichen Äußerungen der Behörde gewesen. Soweit später die Veröffentlichung durch den Immunitätsausschuß erfolgte, sei diese der Gauck-Behörde nicht anzulasten.

2. Das Gutachten ist nach Auffassung des Verwaltungsgerichts nur ein einzelner unselbständiger Bestandteil des Überprüfungsverfahrens durch den Immunitätsausschuß und deshalb einzeln nicht angreifbar. Gregor Gysi könne sich nur gegen den abschließenden Bericht des Immunitätsausschusses wehren, der noch nicht vorliegt. Dann müsse er sich allerdings an das Bundesverfassungsgericht und nicht an das Verwaltungsgericht wenden. (Hier irrt das Verwaltungsgericht insoweit, als das Bundesverfassungsgericht in einem solchen Verfahren nicht den Wahrheitsgehalt des Beschlusses des Immunitätsausschusses überprüfen würde, sondern lediglich, ob Abgeordnetenrechte von Gregor Gysi verletzt werden.)

3. Das Verwaltungsgericht geht allerdings davon aus, daß die Rechte von Gregor Gysi dann verletzt werden, wenn die Gauck-Behörde gegenüber Privatpersonen - das gilt auch für Medien z.B. dergestalt Auskunft erteilt, daß Gregor Gysi der IM »Notar« gewesen sei (sog. Klarnamen-Entschlüsselung). In einem solchen Falle müßte die Behörde Gregor Gysi auch vorher anhören. Das Verwaltungsgericht ist davon überzeugt, daß die GauckBehörde nach der einmaligen Auskunft an Bärbel Bohley ohne Anhörung von Gregor Gysi künftig solche Auskünfte an Privatpersonen nicht mehr erteilen wird. Deshalb sei eine Wiederholungsgefahr nicht gegeben. Nur im Falle einer Wiederholungsgefahr könne aber eine einstweilige Anordnung erlassen werden. (Es wäre interessant zu erfahren, in wievielen Fällen die Gauck-Behörde schon falsch und - da ohne Anhörung von Gregor Gysi auch amtspflichtwidrig Auskunft erteilt hat.)

4. Das Verwaltungsgericht erklärt, daß der Sachverhalt auch dann ein anderer wäre, wenn die Gauck-Behörde sich öffentlich äußern würde. Hierbei übersieht es jedoch, daß Herr Gauck dies im Fernsehen und in der »tageszeitung« bereits getan hat und es keine Gewähr dafür gibt, daß er es künftig nicht tun wird.

5. Letztlich folgte das Verwaltungsgericht dem argumentativen Rückzug der Gauck-Behörde, daß sie in ihrem Gutachten keine Tatsachen behauptet, sondern Bewertungen nach archivarischen Grundsätzen vorgenommen habe. Außerdem hebt das Gericht hervor, daß die Gauck-Behörde zu keinem Zeitpunkt behauptet hätte, daß Gregor Gysi inoffizieller Mitarbeiter der Staatssicherheit gewesen wäre oder von dieser Zuwendungen erhalten hätte.

Wörtlich heißt es in der Gerichtsentscheidung: »Der BStU erhebt nämlich erkennbar für seine Äußerungen keinen Wahrheitsanspruch...«. Und: »Ob die Bewertung des Inhaltes der Stasi-Unterlagen nicht nur richtig, sondern auch als Tatsachenbehauptung wahr ist, kann letztlich nicht allein anhand der Stasi-Unterlagen, sondern muß auch anhand anderer Beweismittel, etwa von Zeugenaussagen, festgestellt werden.« Wertungen - so das Verwaltungsgericht - seien aber im Unterschied zu Tatsachenbehauptungen gerichtlich nicht angreifbar.

Realitätsfremd führt das Verwaltungsgericht weiter aus: »Soweit der Antragsteller einwendet, diese Äußerungen würden in der Öffentlichkeit als Tatsachenbehauptungen verstanden, so kann dies dem BStU nicht zugerechnet werden. Es ist nicht ersichtlich, daß der BStU eine solche Wirkung in der Öffentlichkeit hätte erzielen wollen, oder daß er verpflichtet gewesen sein sollte, den Wertungscharakter seiner Äußerungen noch deutlicher zu machen.«

Dürfen wir jedoch der Überzeugung bleiben, daß die Gauck-Behörde genau die Wirkung erzielen wollte, die sie in der Öffentlichkeit auch erzielt hat? Immerhin titelten zahlreiche Zeitungen nach Überreichung des Gutachtens mit angeblichen Tatsachenfeststellungen wie »Gauck-Behörde: Gysi war IM 'Notar'« (Berliner Zeitung), »Gauck-Gutachten: Gysi war Stasi-Mitarbeiter« (Süddeutsche Zeitung) usw., ohne daß Herr Gauck oder Herr Geiger sich öffentlich beschwert hätten, ihr Gutachten sei mißverstanden worden.

Gregor Gysi prüft, ob er Beschwerde gegen den Beschluß einlegt. Allerdings wäre schon einiges gewonnen, wenn sich die Gauck-Behörde bei ihren Auskünften gegenüber der Öffentlichkeit und Privatpersonen auch wirklich entsprechend dem Beschluß verhielte - und wenn der Immunitätsausschuß und die Medien zur Kenntnis nehmen würden, daß das Gutachten keine Tatsachen enthält und keinen Wahrheitsanspruch erhebt.

Gregor Gysi heute dazu: »Auch in einer Niederlage kann also ein Teilerfolg stecken.«

Automatische Seitengenerierung © IPN ´97