Die neue deutsche
Gretchenfrage lautet: Glaubst Du, daß es die DDR je gegeben hat?
Der Streit um die einzige richtige Antwort droht, das deutsche Volk
wieder einmal in wenigstens zwei deutsche Lager zu spalten. Auf der
einen Seite stehen die, die dabei waren, sich aber nicht mehr so
genau erinnern können, auf der anderen Seite die, die zwar nicht
dabei waren, aber alles um so genauer wissen. Beide Lager reden zwar
noch miteinander, selbstverständlich aber ohne einander zuzuhören.
[...] Selbstverständlich ist auch ein ganz neuer Historikerstreit
ausgebrochen. Während die einen die Frage, ob es die DDR je gegeben
habe, ganz kategorisch beantworten mit einem kompromißlosen: ”Ja,
vielleicht ”, bzw. ”Möglich ist alles ”, sagen die anderen nicht
weniger entschieden: ”Nein, wahrscheinlich nicht” bzw. ”Woher soll
man das wissen? ”. Einig sind sich allerdings alle deutschen
Historiker in der Ablehnung der Goldhagen-These: Deutschland als
Ganzes sei der ehemaligen DDR, wenn es sie denn gegeben haben
sollte, gar nicht unähnlich, wie es das gern sein möchte. [...] Er
[Helmut Kohl] selbst jedenfalls kann sich nicht erinnern, einem
Politiker namens Honecker die Hand, geschweige denn einen
Staatsempfang gegeben zu haben. In dieser Frage wenigstens herrscht
noch die Solidarität der Demokraten. Auch die Opposition kann sich
an Ostkontakte nicht mehr erinnern. Der eine oder andere Politiker
aus Bonn hält es allenfalls für möglich, von der Stasi in eine Falle
gelockt bzw. als Geisel nach Schloß Hubertusstock entführt worden zu
sein. Der einzige bundesdeutsche Politiker, der weiterhin von sich
behauptet, genau gewußt zu haben, mit wem und worüber er da in
Ostberlin und Moskau geredet hat, ist bezeichnenderweise der Brandt-
Komplize Egon Hahr. Dieses Eingeständnis veranlaßte die Bildzeitung
zu der Schlagzeile: War die ganze DDR nur eine böswillige Erfindung
Egon Bahrs? Überhaupt löste die neue deutsche Existenzfrage ein
lebhaftes Presseecho aus. [...] Die Süddeutsche Zeitung äußerte
inzwischen den durch sie selbst begründeten Verdacht, daß Gregor
Gysi seinerzeit Manfred Stolpe die DDR-Verdienstmedaille verliehen
habe. Die Hamburger Zeitung hingegen hat ebenso zuverlässige
Informationen darüber, daß sich Stolpe und Gysi gegenseitig diese
VerdienstmedaiIle zugesteckt hätten, und zwar auf einem
konspirativen Treffen auf der Bühne des Deutschen Theaters. Die
ganze Wahrheit aber erfuhr man wiedermal nur in der Super-Illu.
Ihren Reportern gelang es, eine Ostberliner Hobby-Prostituierte
ausfindig zu machen, die unter Eid und Alkohol ausgesagt hat, zur
fraglichen Zeit mit Gysi und Stolpe in einem Bett gelegen zu haben.
Und da sei es - auch das könne sie beeiden - zu keinerlei |
|
Auszeichnung gekommen. Wie
hierzu aus dem Büro des Brandenburgischen Minister- präsidenten
zu erfahren war, gibt es in Stolpes Tagebuchaufzeichnungen keinen
Hinweis auf eine mit Oysi verbrachte Nacht. Gauck versprach, so
lange in seinen Akten suchen zu lassen, bis man Stolpe und Gysi
diesen Intimkontakt schwarz auf weiß nachweisen könnte. Im übrigen
erklärte er sich bereit, die Nichtexistenz der DDR von Anfang an
voll und ganz anzuerkennen, wenn nur an der Weiterexistenz seiner
Behörde nicht gerüttelt würde. An seinem Mielke-Erbe lasse er keinen
Zweifel zu. [...] Der Vorsitzende der Bonner Enquete-Kommission,
Eppelmann, erklärte, diese ganze schon immer nur so genannte ” DDR ”
sei vermutlich von Mielke und Markus Wolf nur vorgetäuscht worden,
um die Bundesregierung zu desorientieren. Hätte es tatsächlich
einmal eine DDR gegeben, dann hätte es ja auch mal den Pfarrer
Eppelmann gegeben. Das aber erscheine ihm nach seinem heutigen
Wissens- stand mehr als unwahrscheinlich. Und daß er in dieser DDR
den Dienst an der Waffe verweigert, den Dienst am Schreibtisch als
letzter DDR-Verteidigungsminister aber freiwillig übenommen haben
soll, das möge ihm doch bitte mal einer zu erklären versuchen.
Obwohl alle Medien bereits ausführliche Mutmaßungen über das
verderbliche Vorleben Herbert Wehners angestellt haben, konnte ihm
eine homoerotische Beziehung zu Erich Honecker noch nicht
nachgewiesen werden. Aber das ist, nachdem auch Goethes
Homosemalität in allen Zeitungen gestanden hatte, nur noch eine
Frage der Zeit. Frau Seebacher-Brandt jedenfalls ließ durchblicken,
daß sie noch immer mehr sagt, als sie weiß. In einem Geheimpapier an
den BND soll sie die Vermutung geäußert haben, daß auch Herbert
Wehners Witwe intime Beziehungen zu Margot Honecker unterhalten
habe. Sie hätten in Bioleks Küche nach den Rezepten der ahnungslosen
Frau Herzog gemeinsam rote Grütze gekocht. Ob es sich bei Biolek um
den Fernsehkoch handelt oder nur um ein anderes Wort für Ozonloch,
ist nicht sicher. Unsicher ist auch, inwieweit der russische KGH
seine Hände am deutschen Kochlöffel hatte. Endgültige Gewißheit
werde man erst haben, wenn die Frage beantwortet ist, ob es eine
Sowjetunion überhaupt gegeben hat. Jelzin ist der Frage bisher
standhaft ausgewichen. Er glaubt nur noch an Gott und sonst gar
nichts. Auch daß er einmal Kommunist gewesen ist, glaubt er nicht
mehr. Wäre er das gewesen, könnte er heute ja nicht Duzfreund des
deutschen Kanzler sein. Der duzt sich schließlich auch nicht mit
Egon Krenz. Markus Wolf hat auf die Frage, ob es eine Sowjetunion
wirklich gegeben habe, diplomatisch geantwortet, er habe sich
zeitlebens nur mit den |
|
Geheimnissen der russischen
Küche beschäftigt. Für alles andere sei Mielke zuständig gewesen.
Pfarrer Ciauck äußerte die Gewißheit, daß man, wenn es die DDR nicht
gegeben habe, auch keine Sovjetunion brauche. Wichtig für ihn sei
nur, daß seine Behörde weiter gebraucht würde. [...] An der
Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität ist inzwischen ein
Forschungsauftrag vergeben worden, der die Wandlungsfähigkeit
ostdeutscher Pfarrer im Lichte der Wende untersuchen soll. [...]
Auch eine deutliche Mehrheit der östlichen Bundesbürger gab an, von
einer DDR weder etwas gesehen noch gehört zu haben. Der eine oder
andere meinte zwar, die Bezeichnung käme ihm oder ihr bekannt, ob es
sich dabei aber um einen neuen Fernsehsender oder eine japanische
Automarke handele, konnte niemand sagen. Allerdings nimmt in letzter
Zeit die Zahl der Neubundesbürger wieder zu, die ganz offen von sich
selbst behaupten, DDR-Bürger gewesen zu sein. Im Bundesinnen-
ministerium gibt es Überlegungen, solche Extremisten vom
Verfassungsschutz beobachten zu lassen und zu einem späteren
Zeitpunkt auf die ostfriesischen Inseln abzuschieben. Das aber will
CDU- Generalviker Peter Hintze nicht zulassen. Er fühlt sich den
Ostfriesen intellektuell zutiefst vewandt, was die Ostfriesen
allerdings für eine Beleidigung halten. Das wiederum hält Hintze für
einen dieser ihm ganz und gar unverständlichen Ostfriesenwitze. Der
Kanzler hielt sich, wie das so seine Art ist, aus allem heraus. Erst
als ihm Erich Honecker im Traum erschien und ihn
zu einem Gegenbesuch in seine himmlische DDR einlud,
entschloß sich Helmut Kohl, dem Spuk ein Ende zu machen. Er erklärte
die Diskussion für beendet. Das Ganze sei nichts als eine
intellektuelle Spinnerei, dieses Gerede über eine angebliche DDR. Er
habe seinerzeit ganz Deutschland mit sich vereinigt und sonst gar
nichts. Er jedenfalls könne sich an keine DDR erinnern, und wer
etwas anderes behaupte, der solle doch nach drüben gehen. Egon Krenz
dankte seinem Kanzler für die richtungsweisenden Worte. Nun müsse
aber auch endgültig Schluß sein mit einer Siegerjustiz, die noch
immer versuche, ihn für etwas verantwortlich zu machen, was es nie
gegeben habe. Zusammenfassend können wir also feststellen, dieser
DDR ist es - nehmt alles nur für nichts -gegangen wie einst Brechts
sagenhaftem Karthago: Sie war noch mächtig nach dem 17. Juni, noch
bewohnbar nach 40 Jahren Sozialismus, nicht mehr auffindbar nach der
Wiedervereinigung. Peter Ensikat; ND Nr. 230, 02.10.97, Seite 3
-L.B.
– |